CHRISTOPH TANNERT
Direktor Künstlerhaus Bethanien Berlin
DIE BLAUE REIHE – STARKE FRAUEN DER FRIEDLICHEN REVOLUTION 1989
Jetzt geht es um die Kunst, und um diese Porträts, die sie hier sehen.
Jedes Porträt hat die Kraft, Erinnerungsspeicher zu sein. Im Gegenüber erkennt der Künstler oder die Künstlerin sich selbst, erkennen wir uns aber auch als Betrachter. Wie der Kunsthistoriker Wilhelm Maetzold uns in seinem bekannten Buch „Die Kunst des Porträts“ lehrt, kann man drei verschiedene psychologische grundverschiedene Standpunkte dem Bildnis gegenüber einnehmen. Man kann das Porträt betrachten
1. unter dem Gesichtswinkel dessen, der abgebildet wird, also vom Modell aus
2. mit den Augen des Abbildenden, also unter künstlerischen Gesichtspunkten und
3. als unbeteiligter Bildbeschauer von der Seite des Publikums aus
Man trittt dem Porträt entweder als Partei als Gegenpartei oder als vermittelnder Unparteiischer gegenüber. Unter dieser Konstellation ist es voraussehbar, dass man es mit einer Vielzahl von Variablen zu tun hat. Das Einzelproblem der Ähnlichkeit ist zum Beispiel nur lösbar, wenn man dreimal fragt- vielleicht als Porträtierte: Was heisst Getroffensein? Als Porträtistin, Gudrun Boíar: Was heisst Getroffenhaben? Und vor dem Porträt selbst: Was heisst Getroffenfinden? Was nun ein gutes Porträt ist, darüber gehen die Ansicheten ebenso weit auseinander, wie es verschiedene Künstlerästheten gibt. Verlangen Sie also nicht, dass ich mich hier festlege. Ich bin ja noch nicht einmal praktizierender Kunsthistoriker und Künstler bin ich schon gar keiner. Insofern lasse ich Albrecht Dürer sprechen. Bei dem heisst es. „ Die Kunst des Malens kann nicht wohl beurteilt werden, denn allein durch die, die da selbst gute Maler sind, aber fürwahr- den anderen ist es verborgen, wie dir eine fremde Sprache.
Schließt sich die Frage an: Wer ist ein guter Maler? Kann man sich in dieser Hinsicht überhaupt trauen? Ich denke nicht. Denn jeder Spezialist ist durch seine persönliche Bindung an seinen Gegen stand und wegen seiner Spezialerfahrung immer gehandicapt und reagiert nach seiner Optik und selten objektiv.
Und worin misst sich überhaupt Qualität? Git heute doch vielfach der Grundsatz: das Teuerste ist das Beste, und natürlich ist das nicht so, denn der Kunstmarkt ist immer auch ein Ort der Spekulation. Deshalb gibt es ja Institutionen wie Museen, Kunstvereine, Künstlerhäuser, Produzentengalerien, die alle bewusst nicht kommerziell sind. Sie sehen, je weiter man sich in diese Materie hinein begibt, umso komplizierter wird es. Aber vorab: ich glaube, dass die Ausstellung hier in diesem Kirchenraum, hier in der Nähe der Umweltbibliothek, also hier an einem sehr authentischen Ort, die einzig richtige Entscheidung war für diese Bilder.
Fangen wir mit den Hintergründen des Bilderzyklus´ von Gudrun Boíar an.
Entstanden sind sie seit 2011, vor gut einem Jahr. Die Künstlerin nennt sie: DIE BLAUE REIHE, weil, wenn sie genau hinschauen, ein gewisser auffrischender Kobaltblauanteil in den Bildern nicht zu übersehen ist. In mehreren Bildern kommt ergänzend Goldfarbe zum Einsatz. Damit schafft die Künstlerin Verbindung zur Tradition des Kostbaren, wie sie aus der Goldgrundmalerei seit dem 4. Jahrhundert bekannt ist. Alle Bilder entstanden im Format 2,00m x 1,60m in Mischtechnik auf Leinwand, die mit chinesischem Papier überzogen ist und in unregelmäßiger Struktur die Leinwand überzieht.
Die Bildentstehung beruht auf mehreren übereinander liegenden, zum Teil wässrigen und verlaufenden Lasuren, mit einigen nachträglich aufgetragenen Konturen. Ein Perleffekt wird erzielt durch das Besprühen der aufgetragenen Farbe mit Spiritus. An mehreren Stellen gibt Sand, Wachs, Meersalz dem Bild eine lebendige Struktur.
Die Künstlerin Gudrun Boíar stammt aus Gelsenkirchen und hat in Stuttgart und Münster gelebt. Jetzt lebt sie in Prenzlauer Berg. Zu den Dissidenten der ehemaligen DDR hatte sie bisher keinen Kontakt. Aber sie hat sich als Künstlerin gefragt, warum sich das Thema vom Herbst 1989 auch 20 Jahre in der Kunst kaum behandelt wurde. Mir selbst fällt in diesem Zusammenhang lediglich Christopher Haley Simpson Ganzfigurenserie der „Dresdener Gruppe der Zwanzig“ im Jahre 2010 ein. Möglicherweise hängt das Fehlen spezieller Bilder damit zusammen, dass Kunst so nie und spontan auf Zeitereignisse reagiert und Künstler die in mehr oder weniger in losem Kontakt zu Bürgerrechtlern und Oppositionellen standen, bisher einfach Skrupel hatten, sich an dieses Kapitel der Zeitgeschichte heran zu wagen.
Ich kann es also nur begrüßen, dass Gudrun Boíar den Mut aufbrachte, die Bildwürdigkeit der in der Kunst bisher nicht gewürdigten Frauen im DDR Widerstand festzustellen. Es ist eine durchaus fruchtbare Mischung aus Spontaneität und Engagement, die sie zu diesem Schritt bewog.
Für die Künstlerin ist es eine Hommage, eine Verneigung vor den Frauen, die als Aktivistinnen der Wahrheit, die mit ihren Idealen, Vorstellungen und Sehnsüchten die Verhältnisse in der DDR kategorisch hinterfragt und damit die Mauer im Kopf zum Einsturz gebracht haben. Gudrun Boíar hat sich in der Auswahl der zu Porträtierenden mit Insidern beraten. Sie hat viel gelesen, sich sachkundig gemacht, hat Foto- und Filmmaterial studiert, deshalb auch der leichte Sepiaton, in dem diese Bilder gemalt sind. Sepia, also dieser leichte Braunton, ist hier eine Bedeutungsfarbe, die den Aspekt des Historischen unterstreicht. Als Bildvorlage bieten der Künstlerin vorwiegend Fotos aus den achtziger Jahren, die die Porträtierten in genau diesem Zeitintervall zeigen. Der zustande gekommene Querschnitt der Personen ist nicht ihr geringster Vorzug, ehrt ihre avantgardistische Energie und unterstreicht, aus welchen Kreisen sie kamen. Eins ist mittlerweile aber auch klar- zum Glück waren sie nicht die Einzigen, die Widerstand leisteten. Bilder in ihrem Assoziationsreichtum enthalten kein einfach auszusprechendes Erklärungspotenzial. Als zeitgeschichtlich Interessierte wissen wir, die porträtierten Frauen stehen nicht alleine. Viele haben vorgearbeitet, viele beigetragen. Viele auch mit abweichenden Schlussfolgerungen. Sie sprechen überdeutlich von den große Gefühlen der Künslerin und davon, dass sie eine Fantasie ihrer Lebenswirklichkeit hat. Derartige Bilder verknüpfen Kraftpotenziale mit aufklärerischer Helligkeit. Das wirkt auf mich mitreissend. In sämtlichen Bildern wurden die Augenpartien besonders betont. Um über diesem Spiegeln der Seele unbeugsame Entschiedenheit und ein Glühen für eine Überzeugung auszudrücken.
In jedem Bild verbirgt sich überdies ein Fisch, gemeint als Hinweis auf weibliches Fleissen und Verströmen und die kleinen aber starken Existenzen,die gegen den Strom schwimmen. Der Fisch ist überdies ein altes christliches Symbol, so wie die verschworene Gemeinschaft der Urchristen, empfindet und deutet Gudrun Boíar vielleicht auch den Zusammenhalt der Dissidenten, Männern und Frauen.
Welche Gewissheiten heute gelten, ob die Porträtierten mit ihren Ideen gewonnen haben oder gescheitert sind- das alles sind Fragen, die diese Bilder nicht stellen und demzufolge auch nicht beantworten. Unzweifelhaft liegt eine ablesbare Ähnlichkeit n allen Bildern. Ich habe von Gudrun Boíar gehört, dass die ein oder andere Perso sich freilich nicht hat erkennen können oder wollen und so die Reaktionen der Frauen auf die Porträts stets unterschiedlich sind. Zum Projekt insgesamt scheint es aber seitens der Frauen, die ja keine geschlossene Gruppe gebildet haben, Zustimmung zu geben, zumindest signalisieren das die bestätigenden schriftlichen Antworten von Katrin Eigenfeld, Jutta Seidel und Hannelore Offner.
Ich finde, es wurde Zeit, die Sichtbarkeit der Frauen dieser für die deutsche Geschichte so wichtigen Umbruchphase zubetonen und zu sichern. Solch ein Ansatz – Geschichtsdebatte plus künstlerische Ikonografie ist goldrichtig.
Damit wird eine Perspektivverschiebung eingeleitet, von der man hofft, dass sie weitere bildkünstlerische Fertigungen nach sich ziehen. Vielen Dank.