PREVIEW MARIANNE BIRTHLER


ZIONSKIRCHE BERLIN

Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 2000-2011

 

DIE BLAUE REIHE – STARKE FRAUEN DER FRIEDLICHEN REVOLUTION 1989

 

Die Frauen der kleinen Gruppe zu der ich in den späten achtziger Jahren gehörte, trafen sich regelmäßig, um über Gott und die Welt und vor allem über sich selbst zu sprechen. Wir waren keine Kommunikationsgruppe im engeren Sinne, die sich gegründet hatte, um politisch aktiv zu sein. Wir wollten nur einfach über uns reden, über unser Selbstverständnis, über unser Leben als Mütter, Ehefrauen, Geliebte, Alleinerziehende, Ehefrauen,  als Berufstätige und Sinn- und Glückssuchende. Wir tauschten Frauenliteratur aus dem Westen aus, diskutierten darüber und sprachen darüber, wie gleichberechtigt wir eigentlich sind.

Dann, ein paar Wochen nach dem Mauerfall, hatte eine von uns das private Treffen von Frauen aus Ost und West organisiert- in den Räumen der Eliasgemeinde. Wir waren neugierig aufeinander, erzählten von uns, stellten einander Fragen, suchten nach Antworten, hakten nach und manchmal stimmten wir einander zu. Doch es blieb ein etwas höfliches, distanziertes Gespräch. Eine weitere Begegnung in dieser Runde fand nicht statt. Was war geschehen?  Die Entfernung zwischen uns schien größer als das, was uns verband.

Ich erinnere mich noch an das spürbare Befremden bei unserer Vorstellungsrunde. „Ich heiße Suse, bin Ingenieur und habe drei Kinder.“ Gerne hätten die uns wohl verbessert: das heißt Ingeneurin. Umgekehrt staunten wir nicht schlecht als sich da Frauen vorstellten, die nicht  berufstätig waren, obwohl ihre Kinder längst groß waren. Wieder unter uns schüttelten wir die Köpfe und fanden, dass die anderen noch ein paar Lektionen zum Thema Gleichberechtigung zu lernen hatten.

Heute bin ich sicher, dass es umgekehrt genauso war. Umgekehrt staunten wir nicht schlecht als sich da Frauen vorstellten, die nicht  berufstätig waren, obwohl ihre Kinder längst groß waren. Wieder unter uns schüttelten wir die Köpfe und fanden, dass die anderen noch ein paar Lektionen zum Thema Gleichberechtigung zu lernen hatten. Heute bin ich sicher, dass es umgekehrt genauso war.

Warum erzähle ich das? Wegen der  immer wieder diskutierten Fragen ob wir Frauen im Osten emanzipatorisch gesehen die Nase vorn hatten. Sabine Ross (Bundesstiftung Aufarbeitung) hat das Thema ja schon angesprochen. Ich hab das immer wieder bestritten, ob wohl der Grad der Berufstätigkeit und die flächendeckende Kinderbetreuung einen noch bis heute dazu verleiten, die DDR als ein frauenpolitisches Eldorado zu halten. Doch bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass die Frauenpolitik in der DDR patriarchalisch geprägt war. Die an der Macht, die aktiven Erbauer des Sozialismus, waren Männer. Frauen durften mitgestalten. Nur wer arbeitete wie die Männer, genügte den von oben verordneten Ansprüchen der Gleichberechtigung. Und weil die Frauen eine neue Rolle übernehmen sollten- die der vollberufstätigen Frau mit Kindern, die traditionelle Rolle aber nicht loswurden und nach wie vor die Hauptverantwortliche im Haushalt und der Kinderbetreuung waren, waren sie permanent doppelt und dreifach belastet. Und abgesehen davon, dass darüber hinaus wenig Kraft und Zeit für anderes blieb, war Frauen die Teilhabe an Öffentlichkeit, an Gestalten, an Macht auch in der DDR weitgehend versagt. Ob im Politbüro, in den Betrieben, in der DDR. Spitzenpositionen wurden von Männern besetzt. Und in der Opposition waren sie den gleichen Vorurteilen und Zwängen ausgesetzt, wie andere Frauen auch. Oft waren die Probleme auch größer, denn die wenigsten von ihnen hatten ein gutes Einkommen und das war wiederum ein Folge von Ausgrenzungen, von beruflichen Diskriminierungen oder auch der freiwillige Verzicht auf Karriere, weil der Preis dafür zu hoch war.

Was diese Frauen von Anfang an unterschied war, dass sie sich weder mit den Begrenzungen des Lebens der DDR und der Strukturen abfinden wollten. Sie diskutierten und öffneten einander die Augen, sie entwickelten Ideen und machten einander Mut. Sie gründeten „Frauen für den Frieden“ 1982,  eine der ersten der Oppositionsgruppen und protestierten nicht nur gegen den weltweiten Rüstungswahnsinn, sondern auch gegen die Instrumentalisierung der Erziehung. Frauen, die nach Tschernobyl vor den Risiken der Atomenergie warnten, und die die Pläne der DDR- Regierung skandalisierten, eine Strasse quer über den jüdischen Friedhof Weissensee zu bauen. Sie organisierten politische Nachtgebete und thematisierten Frauenrechte im ganzen Ostblock. Frauen waren es, Bärbel Bohley und Katja Havemann, die die Initiative für die Gründung des Neuen Forums ergriffen. Sie organisierten politische Nachtgebete und thematisierten Frauenrechte im ganzen Ostblock. Frauen waren es, Bärbel Bohley und Katja Havemann, die die Initiative für die Gründung des Neuen Forums ergriffen.

Und Frauen führten mutig die erste Montagsdemonstration von Leipzig an, eine davon Katrin Hattenhauer, die „für ein freies Land mit freien Menschen“ auf ihr Transparent geschrieben hatte, woraufhin sie sofort ins Gefängnis musste. Ihre wunderbaren und kraftvollen Bilder wurden vor einiger Zeit hier in der Zionskirche gezeigt. Und hier ist sie nun auch auf einem Bild zu sehen. Eine Frau war es auch, die im September 1989 im Altarraum der Gethsemanekirche zu einer Fastenprotestaktion aufrief, und damit für die entscheidenden, für die Hoffnung und voller Angst einen starken kontemplativen Ort der  Begegnung und der gegenseitigen Stärkung schuf. Frauen gründeten Kontakttelefone,  sammelten Gedächtnisprotokolle und veröffentlichten sie. Frauen waren es auch die im Winter 1989/90 als erste die Stasi-Dienststelle besetzten.

Niemand sollte sich den Einfallsreichtum unter den Frauen verhärmt, schwermütig oder bedrückt vorstellen. Ihr Kraft bestand ja gerade darin, dass sie lachen konnten. Auch über sich selbst. Dass sie sich, wenn ihnen mal wieder eine besonders wagemutige und kreative Aktion gelungen war, vor Vergnügen in die Arme fallen konnten und sich sicher waren, dass ihr Leben viel reicher und kraftvoller war, als das dieser Stasitypen, die sie beobachteten und verfolgten. Aber vergessen wir nicht, dieses lachende und kraftvolle Leben hatte seinen Preis. Manche mussten ihn zahlen und andere hätten ihn noch zahlen müssen, wenn es keine demokratische Revolution gegeben hätte.

Wie groß der Anteil der Frauen in der Opposition war, lässt sich nur schwer sagen. Es gab ja keine formalen Mitgliedschaften. Machten sie die Hälfte aus oder ein Drittel? Wie auch immer- sie waren ziemlich stark vertreten und das ganze ohne Quote und Frauenförderung. Und sie kämpften nicht gegen die Männer, sondern mit Ihnen gemeinsam- solidarisch und in Augenhöhe. Was war der Grund dafür, dass es in der Opposition so gut wie keinen Geschlechterkampf gab? Zum Einen war´s wohl der gefährliche und gemeinsame Gegner, der den Zusammenhalt von Männern und Frauen nicht nur begünstigte, sondern geradezu erforderte. Zum zweiten forderte die spezifische Situation des Lebens in einer autoritären Gesellschaft, unter den Bedingungen von Überwachung und Verfolgung nicht nur Mut heraus, sondern auch Kreativität und vor allem die Fähigkeit Macht zu unterlaufen, sie der Lächerlichkeit preiszugeben und sich im Bewusstsein der eigenen Schwäche zu behaupten. Alles Kompetenzen und Tugenden, die Frauen über die Jahrhundert eingeübt haben, einüben mussten. Ich vermute allerdings als dritten Grund, dass das Miteinander von Frauen und Männern und das gemeinsame Engagement in Augenhöhe nicht nur der Stärke der Frauen zu verdanken ist, sondern dem Umstand, dass die Männer in beruflicher und politischer Hinsicht so schwach und benachteiligt waren, wie sie selber.

Alle die sich für ein Leben in der Opposition entschieden hatten, ob Mann oder Frau, waren die Wege zu Macht, Karriere, Einfluss, Privilegien und Geld versperrt, also genau zu jenen wertvollen Ressourcen, die jahrhundertelang Männerherrschaften begründet haben und immer noch begründen. Dies alles erklärt auch,  warum sich das Verhältnis  der Geschlechter in Kreisen der ehemaligen Dissidenten  von 1990 an veränderte, in einem unschönen Sinn normalisierte.Nun war es auf einmal möglich Karriere zu machen, Listenplätze und Wahlkreise zu erobern, Geld zu verdienen, Beziehungen zu knüpfen, Strippen zu ziehen, Bücher zu veröffentlichen, in Talkshows zu punkten und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Und viele ergriffen ihre Chancen, und oft war das auch gut, sehr gut sogar. Das, was ein paar Dutzend ehemalige Dissidenten bewirkt haben, das kann sich sehen lassen. Nur, dass es dabei wieder nach den alten Spielregeln zugeht und diejenigen, die die traditionellen vernichtenden Verhaltensmuster drauf haben, im Vorteil sind, und dass es eher die Frauen sind die um ihrer selbst und ihrer Lebensqualität willen auf die rauen und manchmal zerstörerischen öffentlichen Machtkämpfe verzichten, ohne die Toppositionen nun mal nicht zu haben sind.

Es wäre , um nicht nur an die 80er Jahre zu denken, sondern auch an die Gegenwart, gar nicht so unpassend, wenn hier in der Zionskirche zwischen all diesen Frauen, auch Bilder von Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina Njadeschka hängen würden. Die drei Moskauer Punkfrauen der Band Pussy Riot, sitzen derzeit im Glaskäfig des Moskauer Gerichtssaals und warten auf ihr Urteil. Ihr Verbrechen war, die Macht des Kreml und der Orthodoxie-Kirche herausgefordert zu haben. Gewaltfrei, unverschämt, kreativ, mutig. So wie viele Frauen, die in vielen Ländern widerstehen und bereit sind, für ihren Freiheitswillen den Preis zu bezahlen. Es gibt noch eine Menge zu malen, Gudrun.